12.07.2024

NEVAP: Pflege wird zum Armutsrisiko

Der Eigenanteil für einen Pflegeplatz steigt immer weiter bis auf über 3.000 Euro.

Der Eigenanteil für einen Pflegeplatz steigt immer weiter bis auf über 3.000 Euro.

Der Bund bestellt, bezahlt aber die Rechnung nicht und das Land stiehlt sich aus der Verantwortung.

 

Angesichts der steigenden Pflegekosten sowie der finanziellen Schieflage der Pflegeversicherung mahnt der diakonische Fachverband in Niedersachsen alle Verantwortlichen zu unverzüglichem Handeln auf.

Die finanzielle Belastung von Bewohnern der stationären Langzeitpflege ist in den vergangenen zwölf Monaten noch einmal deutlich gestiegen. Im bundesweiten Durchschnitt müssen Pflegebedürftige jeden Monat 2.871 Euro aus der eigenen Tasche zahlen. Der Eigenanteil schwankt je nach Bundesland, in Niedersachsen beträgt er durchschnittlich monatlich 2.528 Euro im ersten Jahr. Das sind 137 Euro mehr als im letzten Jahr. Dies geht aus einer Auswertung des Verbands der Ersatzkassen (VdEK) zum 1. Juli hervor.

Der Niedersächsische Evangelische Verband für Altenhilfe und Pflege (NEVAP) sieht die Ursache darin, dass in der Konzertierten Aktion Pflege (KAP Bund) zwar die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, aber durch die Bundesregierung keine Gegenfinanzierung auf den Weg gebracht wurde. 

Der gesellschaftliche Wille, Pflegekräfte besser zu bezahlen und durch eine Mehrpersonalisierung eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erzielen, wurde zwar beschlossen - die Rechnung aber nicht bezahlt. So landen alle zusätzlichen Kosten dieser Maßnahmen bei den Menschen mit Pflegebedarf. Und dies in einer Größenordnung, dass in der Folge das mühsam Ersparte ruckzuck aufgebraucht ist und ein arbeitsreiches Leben in Grundsicherung endet. Die Inflation ist dabei nur ein zusätzlicher Brandbeschleuniger. 

„Die Pflegeversicherung ist schon in Pandemiezeiten geplündert worden. Das derzeitige finanzielle Desaster der Pflegeversicherung wäre nicht existent, wenn die Kosten der Pandemie aus Steuermitteln finanziert worden wären. Alleinige Beitragserhöhungen sind nicht die Lösung“, sagt Sven Schumacher, Vorstandsvorsitzender des NEVAP.

„Besonders ungeschützt vor Armut durch Pflege sind Ehepartner ohne Immobilienbesitz. Meist Frauen, die jahrelang ihren Partner aufopferungsvoll gepflegt haben, bis es nicht mehr ging und sich dann die Miete der gemeinsamen Wohnung nicht mehr leisten können, wenn der Partner mit Pflegebedarf stationär versorgt werden muss. Selbst Umzug aus dem gewohnten Lebensumfeld droht. Das ist die Realität in Deutschland“, berichtet Stefanie Schwinge-Fahlberg, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Fachverbandes aus der Praxis. Dies ist unsolidarisch. Hier werden große Personengruppen abgehängt und hilflos zurückgelassen. 

„Was wir heute sehen, ist nur ein Teil der Rechnung“, stellt Frank Pipenbrink, Geschäftsführer des NEVAP fest, „bisher wurde nur die bessere Bezahlung der Pflegenden umgesetzt. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, eine dringend notwendige Mehrpersonalisierung, ist noch gar nicht eingepreist. Die Umsetzung hakt an dem Fachkräftemangel und kann daher im erforderlichen Umfang derzeit gar nicht realisiert werden. Diese Kosten kommen aber noch sukzessive obendrauf in den nächsten Jahren“. 

Die Versorgung und Finanzierung der Menschen mit Pflegebedarf ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Derzeit werden die Betroffenen in den Einrichtungen sowie die Ehepartner und die Träger der Einrichtungen mit den Folgen allein gelassen. Die Lasten müssen gerecht verteilt werden. Vorschläge, die Pflege solidarisch und generationengerecht zu finanzieren, liegen seit Jahren auf dem Tisch. Es ist dringend an der Zeit, Pflege fair zu finanzieren durch Beiträge aller.

Der NEVAP sieht den Bund und die Länder in der Verantwortung und fordert:

  • Pandemiekosten von 5,5 Milliarden Euro müssen aus Steuermitteln der Pflegeversicherung zurückgezahlt werden, um die aktuelle finanzielle Schieflage abzuwenden. 
  • Ein Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung ist überfällig und muss in einer Finanzreform der Pflegeversicherung umgesetzt werden
  • Finanzierung der Beiträge zur Rentenversicherung für pflegende Angehörige müssen über Steuermittel finanziert werden
  • Die Länder müssen, wie im Gesetz angelegt, die Investitionskosten für die Pflegeheime übernehmen
  • Ausbildungskosten müssen, da Ausbildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, aus Steuermitteln bezahlt werden
  • Die Kosten der Behandlungspflege müssen in der stationären Versorgung von der Krankenversicherung übernommen werden.
  • Zudem muss der Eigenanteil der Pflegekosten gesetzlich begrenzt werden, und zwar für alle Pflegesettings.

Der Niedersächsische Evangelische Verband für Altenhilfe und Pflege e.V. (NEVAP) ist übergreifend für die landeskirchlichen Diakonischen Werke als Fachverband tätig und vertritt 169 Mitglieder 

mit 456 Einrichtungen der offenen, ambulanten, teilstationären und stationären Altenhilfe sowie die fachbezogenen Bildungsträger in Niedersachsen.