Von Kaffeeduft und Selbstvertrauen

Auf den Goslarschen Höfen gilt: „Niemand und nichts ist ‚unbrauchbar‘“

Fast wäre er für zwei Monate im Gefängnis gelandet – wegen Körperverletzung, Waffenbesitzes und noch einiger anderer Delikte. Doch Torsten Hinrichs (Name geändert) entschied sich für die Alternative: 360 Sozialstunden. Die leistet der 24-Jährige nun im Logistik-Team der Goslarschen Höfe ab. 

Die Goslarschen Höfe sind ein ökumenischer Inklusionsbetrieb vor den Toren Goslars. „Unser Ziel ist es, Menschen mit Behinderung einen vollwertigen Arbeitsplatz zu geben – Seite an Seite mit Menschen ohne Beeinträchtigungen“, sagt Betriebsleiter Holger Pape. Zum Team gehören 18 festangestellte Mitarbeitende, einige davon mit Schwerbehinderung, andere mit Vermittlungshemmnissen wie etwa Langzeitarbeitslosigkeit. Hinzu kommen 80 bis 90 Ehrenamtliche – und Torsten Hinrichs. 

„Hier wird niemand vorverurteilt, hier werden auch Menschen mit bestimmter Vorgeschichte als die Personen gesehen, die sie sind“, sagt Hinrichs. Das habe er in anderen Betrieben schon anders erlebt. Am liebsten, sagt er, würde er auch nach seinen Sozialstunden weiter in dem Logistik-Team arbeiten und dabei helfen, die Möbelspenden für das Sozialkaufhaus abzuholen, das ebenfalls zu den Höfen gehört und deren Motto lautet: „Niemand und nichts ist unbrauchbar“.

Ein Motto, das auch Susanne Murawski gut gefällt. Sie ist Stammkundin im Sozialkaufhaus. „Ich könnte mir auch in anderen Geschäften alles kaufen, aber mir gefällt die Nachhaltigkeit hier.“ Einmal pro Woche fährt sie aus Bad Harzburg nach Goslar, um zu stöbern – und selbst Dinge abzugeben. „An den Dingen hier ist Geschichte dran, das ist toll“, sagt sie und betrachtet alte Teller und Tassen. Wenn sie in Rente ist, sagt sie, will sie hier selbst als Ehrenamtliche einsteigen – genau wie Ursula Rissmann-Telle. Seit neun Jahren hilft die Rentnerin im Sozialkaufhaus mit, jeden Dienstagvormittag. „Ich habe einfach ein Fable für Nachhaltigkeit.“ 

Das geht Dietmar Heck ähnlich. „Hier gibt es echte Unikate, hier kaufe ich fast immer was“, sagt er und zeigt seine Lederjacke, die er bei einem seiner letzten Besuche erstanden hat. „Und ein Buch für einen Euro kaufen, in dem man drei Wochen lesen kann, das lohnt sich doch.“ Heck verbindet den Besuch im Sozialkaufhaus gern mit einem Besuch im Hof-Café gegenüber. „Hier herrscht einfach eine sympathische Atmosphäre, und ich möchte die Idee der Inklusion unterstützen.“ Mit dem Erlös aus dem Sozialkaufhaus und Café werden die Löhne der Mitarbeitenden finanziert. 

„Inklusion first – coffee second“ - erst Inklusion, dann Kaffee – steht auf einer Tafel im Café. Auf einer anderen sind handschriftlich alle Getränke aufgeführt. Schon das sorgt für eine gemütliche Atmosphäre, die auch Isabell Meffert gleich gefallen hat. Die 24-Jährige hat das Café einst bei einem Praktikum über die Lebenshilfe, die Menschen mit geistiger Behinderung unterstützt, kennengelernt. Seit zwei Jahren ist sie fest im Café eingestellt. Stolz trägt sie ihr schwarzes Goslarsche-Höfe-T-Shirt mit ihrem Namensschild. „Dadurch fühle ich mich sehr mit den anderen verbunden“, sagt sie. „Ich bin hier sehr glücklich, ich möchte hier für immer bleiben.“ Woanders zu arbeiten, das könne sie sich nicht vorstellen. Auch wenn sie für diese Arbeit jeden Tag anderthalb Stunden pro Strecke im Bus sitzen muss, um von ihrem Zuhause zur Arbeit zu kommen. 

Auch Luisa-Marie Jaschke arbeitet im Hof-Café – als Ehrenamtliche. „Ich kenne die Höfe schon durch meine Oma, die immer viel von ihren Sachen ins Kaufhaus bringt“, sagt die 20-Jährige. Das Miteinander und die Vielfalt gefallen ihr. Jaschke hat gerade ihr BWL-Studium abgebrochen und will das Ehrenamt nutzen, um sich über ihre nächsten Schritte Gedanken zu machen. Im Café will sie nicht nur servieren, sie will es auch mit selbstgebackenem Kuchen unterstützen. „Ich liebe es einfach zu backen“, sagt sie. 

Schon vor dem Café strömt den Besucher*innen der Goslarschen Höfe Kaffeeduft entgegen. Der kommt nicht nur aus dem Café selbst, sondern vor allem aus der danebenliegenden Kaffeerösterei. Riesige Säcke mit Kaffeebohnen aus Neu-Guinea liegen hier neben großen glänzenden Kaffeedosen mit Kaffee aus Äthiopien, Peru, Nicaragua und Mexiko. „Früher haben wir vor allem für den Eigenbedarf geröstet, heute gehen 80 Prozent an Supermärkte und Cafés in der Region“, sagt Betriebsleiter Holger Pape. 

„Man braucht eine gewisse Ernsthaftigkeit bei dem Job“, sagt Christian Walter, der in der Rösterei arbeitet. Schließlich dürfen die Bohnen nicht zu lange und nicht zu kurz geröstet werden, sonst schmeckt der Kaffee nicht. Genau 25 Minuten müssen es sein. 80 bis 100 Kilo Kaffeebohnen schüttet Walter an einem Tag in den Filter der Röstmaschine. „So spare ich mir das Fitnessstudio“, scherzt er. Seit zwei Jahren arbeitet er zweimal in der Woche in der Rösterei – und achtet seitdem auch privat mehr darauf, wo der Kaffee herkommt, den er trinkt. „Besonders den aus Mexiko und Peru mag ich – Costa Rica habe ich noch nicht probiert.“

Christian Walter mag seinen Job. „Für die Arbeit braucht man schon eine gewisse Übung, sonst klappt das nicht.“ Diese Übung hat er. Das macht ihn stolz, das spürt man. „Genau das wollen wir“, sagt Betriebsleiter Holger Pape, „dass unsere Jobs Selbstbewusstsein vermitteln“. Die Menschen, die auf den Goslarschen Höfen arbeiten, wissen, was sie leisten. Sie sind Steuer- und Beitragszahler und leisten eine Arbeit, die auch anderen hilft. Wer hier Möbel fürs Kaufhaus abholt, Kaffee röstet oder im Café ausschenkt, sichert damit nicht nur seine eigene Arbeit, sondern auch die der anderen. Die Ehrenamtlichen unterstützen das System. So erreicht ein Inklusionsprojekt eine ganze Region.